„Ich kam leer und ging voll“
Raffaella (46) besuchte mit ihrer Tochter, Elena (15), die Intensivwoche im Shaolin Chan Tempel. Raffaela trainiert seit 32 Jahren Karate, hat den 5.Dan und gewann national wie international bedeutende Turniere. Sie besitzt vollberuflich ein Dojo, wo sie neben Karate noch Krav Maga, Ernährungsberatung und Fitness anbietet. Elena praktiziert seit ihrem 3 Lebensjahr Karate. Die beiden begeisterten uns mit einer tief menschlichen Art und waren dank Humor und Bescheidenheit gleich vom ersten Tag an Teil dieser grossen Familie. Wir durften viel von ihnen mitnehmen und danken Raffaella für dieses Interview.
Raffaella, wie bist du zum Karate gekommen?
Als ich 14 Jahre alt war, hat meine Schulkollegin erzählt, dass sie bei einer Nachbarin Karate trainieren darf. Sie meinte, dass ich auch einmal mitkommen könne. Als ich meine zukünftige Meisterin in ihrem weissen Gewand und dem schwarzen Gurt das erste Mal sah, war ich von ihrer Ausstrahlung überwältigt. Obwohl ich keine Ahnung von Karate hatte, wusste ich, dass ich das auch will. Das ist mein Sport.
Dann hat es dich nicht mehr losgelassen?
Richtig,. Ich durfte dann später auch mehrmals meinen Grossmeister in Malaysia besuchen. Mit 22 Jahren habe ich die Prüfung zum schwarzen Gurt absolviert und trainierte in dieser Zeit sehr intensiv. Jeden Tag drei Mal. Mit 28 erfüllte ich mir meinen Traum und eröffnete eine eigene Karateschule.
Genau wie im Kung Fu braucht es neben Fähigkeiten auch Persönlichkeit um im Gurtsystem aufzusteigen. Wie war das bei dir?
Genau. Vor vier Jahren erlebte ich mein Highlight im Karate. Völlig unerwartet wurde ich zum 5. Dan geehrt. Neben Turniersiegen verdient man diese Auszeichnung insbesondere, wenn man dem Karate viel zurück gibt. Faktoren sind beispielsweise das Unterrichten, Engagement und Herz. Es kommt darauf an, wie du Karate lebst und machst. Ich hatte viel Zeit in Karate investiert, es wurde zum Leben.
Was fühlst du, wenn du Karate machst?
Ich spüre eine riesige Energie, eine Kraft in mir. Ich spüre natürlich auch Adrenalin. Wenn ich eine Kata mache, fühle ich mich wie ein Vulkan, der explodiert. Diese Kraft, dem sagt ihr Qi, die Bewegung und Konzentration bei der Ausführung zu spüren, das sind grosse Gefühle. Perfektion in den Körper zu bringen. Das weiche im Harten zu fühlen. Nicht nur ausführen, sondern leben, das ist Karate. Diese Ausstrahlung sieht dann auch ein Zuschauer. Dann kommt es nicht mehr darauf an, was für eine Kampfkunst man macht. In diesem Moment bin ich völlig in mir drin und kann alles geben, was ich als Mensch habe und geben kann. Und das ist einfach nur wunderschön. Genau das alles fühle ich in einem solchen Moment. Ich glaube das können nur Leute verstehen, die etwas richtig von Herzen machen. Karate ist für mich Leben. Das ist das, was ich in der ersten Stunde Karate gespürt habe.
Trotz deines Niveaus und deiner Erfahrung hast du hier mit einer selten erlebten Demut neben Anfängern trainiert. Du hast dich mit grösster Bescheidenheit anderen Meistern untergeordnet, die jünger sind und in Jahren ausgedrückt weniger lange Kampfkunst betreiben. Wie war das für dich?
Ich sagte mir, hier will ich einfach einmal ich sein. Ohne Karate, ohne Lehrerin, ohne nichts. Ob Shifu, Zhong Jiao Lian oder ein Anfänger mir etwas sagt, ich kann von jedem etwas lernen. Es ist wie ein Dozent an einer Uni. Er ist auf seinem Gebiet super, aber beim Kung Fu trotzdem Anfänger. Von einem Tellerwäscher kann man genauso lernen. Diese Einstellung ging viel verloren in unserer Gesellschaft. Ich wollte einfach lernen, nicht immer nur geben. Ich kann noch so viel profitieren von euch. Nicht nur bezogen auf das Kung Fu, sondern auch menschlich. Es war so schön, einfach die Raffaella sein zu dürfen. Wir sind alle gleich. Du bist mein Schüler, ich bin dein Schüler. Meine Schüler müssen sich vor mir auch nicht verbeugen, sie müssen mir auch nicht Sensei sagen.
Wenn ein Schüler von unserer Schule für eine Woche zu euch kommen würde, was würde er mitnehmen?
Die ersten Grundstellungen und Katas. Er lernt, wie man bei uns kämpft, sprich kontaktlos. Ich erzähle meinen Schülern auch oft, wie ich bei meinem Grossmeister acht Stunden lang den gleichen Schritt geübt habe. Auch dieses Geduldstraining möchte ich weitergeben. Abschliessend hoffentlich ein gutes Gefühl, dass er sich wohl fühlte.
Du hast nun eine Woche Kung Fu Luft geschnuppert. Wie geht es nun weiter?
Ich würde gerne weiterhin hierhin kommen. Momentan ist es ein bisschen schwierig. Ich habe nebenbei mein Geschäft, der Weg zum Tempel ist lange und Elena arbeitet am Samstag. Ich werde jedoch öfters an Samstagen hierhin kommen. Momentan liegt es zeitlich noch nicht so drin, aber ich möchte längerfristig bei euch trainieren. Ich würde gerne ins Trainingslager und nach China zu eurem Grossmeister. Ich freue mich auch schon ungemein auf das Buch von Shifu. Aber ich gehe jetzt einen Schritt nach dem anderen. Ich konnte hier soviel Energie tanken und gehe mit einem klareren Kopf heim.
Karate und Kung Fu, geht das beides?
Ich wünsche mir, dass ich das parallel machen kann. Es wird ein langer Weg, bis ich Kung Fu kann. Mir gefällt die Leichtigkeit im Kung Fu. Es ist wie fliegen. Karate ist hart und doch weich. Yin und Yang – Hart und weich, schwarz und weiss – so geht Karate und Kung Fu sicher auch. Kampfkunst ist für mich eins. Es ist eins und doch alles anders.
Wurde etwas in diesem Interview bisher noch nicht aufgegriffen?
Ich wollte einfach danke sagen. Es war eine riesen Lebenserfahrung hier mit euch und mit Shifu. Ich kenne viele Menschen und ich kenne viele Meister. Shifu ist ein ganz spezieller Mensch.
Wir danken für die inspirierenden Momente mit dir und Elena.
Möchtest du auch einmal über längere Zeit in die Shaolin Kultur eintauchen?